Sind wir doch mal ehrlich: Jede:r von uns hat schon mal ein Wort oder einen Satz rausgehauen, der uns im Nachhinein unangenehm war. Ob im Streit, im Überschwang eines angetrunkenen Stadionbesuchs oder wenn man sich den Zeh an der Bettkante stößt - wenn wir nicht die Kontrolle über unseren Sprechapparat zu haben scheinen, rutschen uns unschöne Worte heraus. Aber: Warum sind Begriffe wie "behindert", "Spasti" oder "Mongo" überhaupt Teil des Repertoires an Beleidigungen bei vielen Menschen? Und was können wir gemeinsam dagegen tun?
Dazu müssen wir zunächst einen Schritt zurück gehen und uns anschauen, warum solche Begriffe überhaupt als Beleidigung verwendet werden können. Viele Menschen haben in ihrem Alltag wenige Berührpunkte mit Behinderung, beziehungsweise mit Menschen mit Behinderung. Krankheiten und Sinneseinschränkungen werden so zu einer Art unheimlichen Etwas, mit dem sie möglichst wenig zu tun haben möchten. Das Resultat ist der Drang zu sprachlicher Abgrenzung, in vielen Fällen dann in Form einer Beleidigung. Wer einen anderen Menschen, unabhängig davon ob diese Person wirklich eine Behinderung hat oder nicht, als behindert bezeichnet und dies mit einer abwertenden Haltung tut, spricht dem Gegenüber in letzter Konsequenz das Recht ab, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Nach dem gleichen Wirkprinzip wie bei rassistischen und sexistischen Äußerungen wird auch bei ableistischen Aussagen immer ein Stück weit das Menschsein des Angesprochenen infrage gestellt. Der Mensch mit Behinderung wird so zum Behinderten; und in einer kleinen Äußerung wird ein gigantisch großes gesellschaftliches Problem deutlich.
Durch Verallgemeinerung entsteht der Eindruck, Menschen mit Behinderung ließen sich als Gruppe zusammenfassen und ihre Eigenschaften, Bedarfe und Positionen innerhalb der Gesellschaft gleichsetzen. Das Prinzip „Kennst du einen, kennst du alle“ kann dabei enormen Schaden anrichten, und das nicht nur kommunikativ. Formulierungen wie „Mensch mit Behinderung“ oder „Mensch mit eingeschränkter Mobilität“ stellen den Menschen und sein Recht und seinen Anspruch auf vielfältige und individuelle Lebens- und Persönlichkeitsentfaltung in den Vordergrund. Aus diesem Grund haben wir uns in FairWeg, genau wie etwa die Aktion Mensch oder die Online-Plattform leidmedien.de dazu entschlossen, nur Begriffe dieser Art zu verwenden. Noch schlimmer zeigen sich in diesem Zusammenhang Formulierungen, die einem im deutschen Alltag ganz selbstverständlich um die Ohren gehauen werden: Eine Bekannte, die etwa beim Zugfahren auf einen Rollstuhl angewiesen ist, erzählte mir vor einiger Zeit, dass bei der Deutschen Bahn intern des Öfteren die Aussage getroffen wird „Hinten am Gleis braucht ein Rollstuhl Hilfe“ – wenn nicht vom Rollstuhl aus Metall und Plastik, sondern vom Menschen aus Fleisch und Blut die Rede ist. Solche Aussagen sind herabwürdigend und beleidigend, egal wie man es dreht und wendet.
Während solche Beispiele (hoffentlich) auch bei vielen Menschen auf dem Bahnsteig für Ablehnung sorgen, sind ableistische oder zumindest grenzwertige Begriffe oder Aussagen über Menschen mit Behinderung im alltäglichen Sprachgebrauch sehr gängig und wirken damit fast selbstverständlich. Wenn jemand „an den Rollstuhl gefesselt“ ist, klingt das eher nach einer Entführung, als nach der Möglichkeit durch ein technisches Hilfsmittel am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Wer ein „Pflegefall“ ist, wird einzig und allein dadurch charakterisiert, dass er oder sie von jemand anderen („gesunden“) in gewissen Situationen Assistenz benötigt; und dabei ein Fall von vielen ist, womit wir wieder beim Thema Verallgemeinerung wären. Wer solche Formulierungen benutzt ist selbstverständlich kein schlechter Mensch und auch nicht an sich behindertenfeindlich. Es geht aber mit aller Ernsthaftigkeit darum, über solche weit verbreiteten Aussagen nachzudenken, sie mit dem Wissen über die Sache zu bewerten und im Zweifelsfall Alternativen zu finden. Eine tolle Übersicht mit einigen gängigen Sätzen und Bezeichnungen hat leidmedien.de 2019 in ihrem Leidfaden zusammengestellt, den ihr hier abrufen könnt.
Übrigens geht es in Sachen nicht-inklusiver Sprache gar nicht zwingend immer um Negatives, um Abwertendes und Ausgrenzendes. Wie in vielen anderen Bereichen der alltäglichen Kommunikation kann auch übertriebene oder fehlplatzierte Positivität schnell problematisch werden. Wer davon spricht, dass Menschen mit Behinderung ihr Leben „trotzdem meistern“, reduziert nicht nur durch das Herausstellen der über allem schwebenden Behinderung, sondern verbesondert auch. Eine Lehramtsstudierende im Rollstuhl beispielsweise studiert einfach nur Erdkunde und Deutsch – sie meistert die Fächer nicht, zumindest nicht mehr oder weniger als ihre Kommiliton:innen, die vielleicht nicht im Alltag mit dem Rollstuhl unterwegs sind. Und auch verniedlichende oder infantilisierende (verkindlichende) Begriffe wie „Downie“ für Menschen mit Trisomie 21 gehören auf den Sprachfriedhof: Zum einen, weil in diesem konkreten Beispiel erneut das Krankheitsbild mit der Person gleichgesetzt wird, zum anderen, weil auch Menschen mit Trisomie 21 das gleiche Recht auf eine Behandlung als erwachsene Person haben wie alle anderen. Also: Es kann im wahrsten Sinne des Wortes schnell zu viel des Guten sein.
Unter dem Strich sind also vor allem zwei Dinge sicher: Zum einen hat Sprache eine enorme Macht, die sowohl Gutes als auch Schlechtes in einer Gesellschaft in Bewegung setzen kann. Die Begriffe, die wir dafür benutzen, um über Behinderung zu sprechen, bergen immer Sprengstoff und zugleich das Potential, gegen Tabus vorzugehen und so in den offenen Diskurs zu kommen. Denn, und das ist die zweite Gewissheit, wir müssen mehr über Menschen mit Behinderung und ihre Situation innerhalb der Gesellschaft, etwa auf Veranstaltungen sprechen. Nur so kann sich etwas ändern und gemeinsam etwas verändert werden. Doch die Art und Weise muss sich dabei dringend ändern – und jede:r von uns kann seinen Teil beitragen.