Brailleschrift

von David
15. Oktober 2024

Im folgenden findet ihr das vollständige Interview mit unserer FairWeg-Referentin und Inkluencerin Nina Becker zum Thema Brailleschrift (auch Blindenschrift). Schaut auf Ninas Instagram vorbei, falls ihr euch mehr für das Thema interessiert.


Wie lernt man die Blindenschrift?

Nina: „Das hängt davon ab, ob man von Geburt an blind ist oder ob man erst im Laufe seines Lebens erblindet. Ich zum Beispiel habe die Blindenschrift in der Grundschule gelernt, parallel dazu, wie die anderen die normale Schrift gelernt haben (ich war auf einer Regelschule). Dazu kam eine Lehrerin von der Blindenschule Neuwied ein bis zweimal pro Woche zu mir in die Schule und hat mir alles rund um die Blindenschrift beigebracht. Für Menschen, die erst im Laufe ihres Lebens erblinden gibt es z. B. eine Blindentechnische Grundausbildung, wie eine Art Umschulung, wo man dann auch die Schrift erlernt. Manche ältere Menschen lernen die Schrift vielleicht auch gar nicht mehr, wenn es sich für sie nicht mehr lohnt."


Nach welchem System ist die Blindenschrift aufgebaut?

Nina: „Ursprünglich bestand die Blindenschrift aus sechs Punkten, die in Kästchen angeordnet sind (immer zwei Punkte nebeneinander und drei Punkte untereinander, vergleichbar mit einem Legostein oder Eierkarton für sechs Eier). Im Computerzeitalter hat man noch zwei Punkte hinzugefügt, da man dann deutlich mehr Punktkombinationen nutzen und damit mehr Zeichen darstellen konnte. Es gibt also mittlerweile eine 6-punkt- und eine 8-Punkt-Brailleschrift. Die Punkte werden in verschiedenen Kombinationen angeordnet und stehen somit für Buchstaben, Zahlen und andere Zeichen. Dabei müssen auch nicht immer alle Punkte gleichzeitig genutzt werden (manche Buchstaben bestehen nur aus einem Punkt, andere aus vier oder fünf Punkten). Wichtig ist dabei, dass die Größe und Abstände der Punkte immer gleich sind (sie sind genormt), damit man jedes einzelne Zeichen komplett mit einer Fingerkuppe ertasten kann. Blinde Menschen fühlen dann über die erhabenen Punkte und können so die Blindenschrift lesen."


Gibt es besondere Abkürzungen oder Wörter in der Blindenschrift?

Nina: „Da die Blindenschrift ziemlich viel Platz braucht und man aufgrund der genormten Größe auch nicht einfach kleiner schreiben kann, können Bücher in Blindenschrift schnell mal sehr dick werden. Deshalb gibt es eine komplette Blindenkurzschrift, die man sich vorstellen kann wie Steno. Diese Kurzschrift hat noch einmal ein ganz eigenes System von Abkürzungen und Sonderzeichen, so gibt es z. B. Jeweils ein einziges Zeichen für die Laute „sch“ „ch“, „ie“ usw. In der 6-Punktschrift gibt es auch ein eigenes Zahlzeichen und ein Zeichen, das einen Großbuchstaben anzeigt, da man aufgrund der begrenzten Kombinationsmöglichkeiten mit nur sechs Punkten zahlen und Großbuchstaben nicht anders darstellen konnte als ein Sonderzeichen voranzustellen. Die Zahl 1 ist dann im Prinzip das Zeichen für den Buchstaben A, dem ein Zahlzeichen vorangestellt wird. In der 8-Punktschrift braucht man das nicht mehr, da man zwei weitere Punkte zur Verfügung hat und somit eigene Kombinationen für Zahlen nutzen kann."


Wie funktioniert die Blindenschrift in anderen Sprachen?

Nina: „Tatsächlich ist das System der Blindenschrift international und wird in fast allen Sprachen so oder so ähnlich benutzt. Bei Sprachen, die ein anderes Alphabet nutzen, werden die Zeichen teilweise anders verwendet. Ich habe hierzu einen interessanten Link gefunden, wo alles genau erklärt wird."


Von wem wird die Blindenschrift genutzt?

Nina: „Die meisten Menschen, die von Geburt an blind sind, kennen und nutzen die Blindenschrift. Anders sieht es bei denjenigen aus, die erst im Laufe ihres Lebens erblinden. Hier hängt es ein bisschen davon ab, in welchem Alter man sein Augenlicht verliert und ob man dann noch dazu bereit ist, eine komplett neue Schrift zu lernen. Auch so fällt es vielen spät erblindeten schwer, die Blindenschrift zu lernen und zu verinnerlichen. Viele lernen Sie zwar, nutzen Sie im Alltag dann aber doch nur sporadisch, weil ihnen einfach die Routine fehlt. Viele kompensieren dies dann Durch die Sprachausgabe und lassen sich Inhalte lieber vorlesen. Trotzdem ist die Blindenschrift für blinde Menschen nach wie vor sehr wichtig und ermöglicht Freiheit und Selbstbestimmung. Es ist auch so ein bisschen eine Frage der Vorliebe, wie gern und häufig man sie nutzt oder ob man sich Texte lieber vorlesen lässt.


Ist die Blindenschrift für alle sinnvoll?

Nina: „Auch das hängt von den unterschiedlichen Voraussetzungen und Gewohnheiten der Menschen ab. Ich beobachte immer wieder, dass die Blindenschrift für geburtsblinde Menschen sehr wichtig und hilfreich ist. Spät erblindete Menschen finden diesen intuitiven Zugang aber oft nur schwer und brauchen dafür teilweise auch sehr viel Zeit. Sie sind dann deutlich langsamer im Lesen der Blindenschrift, weil Ihnen die Übung fehlt. So kann die Schrift für den einen Schon lange Teil seines Lebens sein, wären sie für den anderen eine große Herausforderung darstellt. Manchmal wird fälschlicherweise aber auch behauptet, dass die Blindenschrift veraltet wäre und kaum noch von Blinden Menschen genutzt werden würde. Das stimmt bei weitem nicht, da sie nach wie vor das einzige Schriftsystem ist, dass blinden Menschen uneingeschränkte zugänglich ist. Natürlich kann man sich heutzutage Texte auch einfach vorlesen lassen, aber das ersetzt nicht das Gefühl, etwas selbst lesen zu können. Wenn man Blindenschrift liest, entwickelt man (genau wie sehende Menschen) ein Bild von Wörtern und deren richtiger Schreibweise und kann viel schneller und effektiver Korrekturlesen, als man dies mit einer Sprachausgabe könnte."

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