INTERVIEW mit Lucas von der Bundesjugend

von Svantje
28. Oktober 2022

Über Gebärden-Musikvideos, nervige Erlebnisse und das Leben mit Hörschädigung

Über den Play-Button könnt ihr euch den Text auch vorlesen lassen!

Uns ist es im FairWeg-Team ein besonderes Anliegen, mit Menschen über Behinderung und ihre Erfahrungen, Meinungen und Ideen zu sprechen - Menschen, die sich viel besser als wir damit auskennen, weil sie selbst in irgendeiner Form damit leben. Lucas Garthe von der Bundesjugend hat unserer Svantje deshalb Rede und Antwort gestanden. Entstanden ist ein lesens- und hörenswertes Interview!

Svantje: Vielen Dank, dass du das Interview mit uns machst. Magst du dich einmal kurz vorstellen?

Lucas: Hi, ich bin Lucas Garthe, ich bin 26 Jahre alt und wohne momentan in Heidelberg. Ich habe mein Studium jetzt abgeschlossen. Ich habe Sonderpädagogik studiert, mit den Fachrichtungen Hören und geistige Entwicklung und arbeite jetzt tatsächlich gerade in einem Vertretungsvertrag an einer Hörgeschädigten-Schule. Ich bin aber auch ehrenamtlich tätig in einem Verein für junge Menschen mit Hörbehinderung. Das ist die Bundesjugend. Und ich freue mich hier zu sein.

Svantje: Sehr cool. Genau zu dem Verband hätte ich auch meine erste Frage: Wofür setzt ihr euch ein? Was macht ihr? Und was ist dein Ehrenamt da?

Lucas: Es ist eine Art Selbsthilfeverband. Wir sind alle im Vorstand ehrenamtlich tätig und sind auch selbst hörgeschädigt oder interessieren uns dafür Menschen mit Hörbehinderung zu unterstützen. Wir setzen uns für die jüngere Generation ein. Unsere Definition von jung geht bis 35 Jahre, also doch noch etwas entspannter formuliert. Unsere wichtigsten Themen sind Aufklärung über das Thema Hörschädigung, Beratung bei Problemen rund um das Thema Hörschädigung, Empowerment und Identitätsarbeit. Dass Kinder mit Hörschädigung mit ihrer Behinderung besser zurechtkommen, sie akzeptieren und von der „Schwäche“ wegkommen und hin zu einer Stärke.

Svantje: Sehr schön. Zum Thema Empowerment: Was bringt ihr da bei? Wie läuft denn sowas ab?

Lucas: Also wir bieten verschiedene Workshops und Seminare an und unter anderem gibt es das Seminar Regelschülerseminar. Das heißt da gehen Schüler:innen hin, die selbst die einzigen mit einer Hörbehinderung sind an einer allgemeinen Schule, wo alle „normal“ hören. Und da laden wir auch immer Referierende ein, die selber eine Psychologie Ausbildung oder ein Psychologiestudium gemacht haben und sich einfach gut mit dem Thema auskennen. Da fördern wir auch den Austausch unter den Gleichgesinnten. Damit die Kids auch merken, dass sie nicht alleine sind mit ihrer Hörbehinderung. Und dass es auch viele Vorteile gibt hörgeschädigt zu sein. Viele Kids berichten dann auch nach diesen Seminaren, dass sie sich total wohlfühlen und total empowert sind und viel besser in den Alltag starten können. Und ich bin da auch so einer von, der davon profitiert hat.

Svantje: Darf ich näher dazu nachfragen? Also warst du dann selber als Kind in solchen Workshops mit dabei?

Lucas: Ja genau, also ich hab auch 2010 das erste Mal Kontakt zu der Bundesjugend gehabt und hatte vorher noch nie so richtig Kontakt mit anderen Hörgeschädigten. Und mir ging es dann in der Schule auch teilweise nicht so gut, einfach mit meiner Behinderung umzugehen. Ich stand immer im Mittelpunkt, weil ich immer das Mikrofon dem Lehrer gegeben habe und ständig nachgefragt habe. Und dann war ich da bei diesem Seminar, wurde da so ein bisschen von meinen Eltern hin gezwungen. Aber das hat sich dann als voller Erfolg herausgestellt. Für mich persönlich. Ich habe da Freunde gefunden, die auch heute noch meine Freunde sind. Ich fühle mich mittlerweile einfach sehr empowert und mache meine Hörbehinderung zur Stärke.

Svantje: Es einfach sehr cool, was ihr da an Arbeit leistet und auch deine Geschichte dahinter. Wir haben ja jetzt schon einen Beitrag zur deutschen Gebärdensprache veröffentlicht und da würde mich interessieren, ob du die deutsche Gebärdensprache kannst?

Lucas: Ja genau, also ich habe die deutsche Gebärdensprache auch selber gelernt. Nicht von Geburt an, wie man vielleicht vermuten würde. Ich habs erst mit 14 Jahren tatsächlich gelernt. Das ist vielleicht so ein kleiner Aberglaube, dass jeder hörgeschädigte Mensch von Geburt an die Gebärdensprache lernt. Das stimmt so nicht. Meine Eltern sind hörend und können die Gebärdensprache nicht, deswegen habe ich es dann selber einfach privat für mich gelernt und mir mit Songs dann angeeignet.

Svantje: Mit Songs? Dann übersetzt oder wie?

Lucas: Genau, mit einem Kumpel zusammen. Wir interessieren uns beide für Musik und haben uns dann hingesetzt und gedacht, wir müssen doch auch Musik barrierefrei machen und haben dann einfach so kurzerhand Lieder in Gebärdensprache verfasst und das dann auch in Musikvideos festgehalten.

Svantje: Das ist ja richtig cool. Bei den Recherchen bin ich auf den ESC in Gebärdensprache gestoßen und fand das schon richtig cool. Das es sowas wie den Eurovision Song Contest jetzt auch auf Gebärdensprache gibt, oder dass es jetzt auch auf Konzerten Gebärdendolmetschung gibt.

Lucas: Ja das ist auf jeden Fall echt cool!

Svantje: Warst du schon einmal auf einem Konzert mit Gebärdendolmetschung?

Lucas: Ich war schon auf Konzerten. Aber vor allem auf Konzerten mit deutschen Interpreten, die auch auf Deutsch singen, einfach weil ich da auch den Text besser verstehe, bei Englisch wird’s dann bei mir tatsächlich ein bisschen schwierig. Tatsächlich habe ich aber noch nie ein Konzert mit Verdolmetschung gesehen. Das noch nie.

Svantje: Da ist schade. Aber vielleicht wird das ja jetzt langsam präsenter.

Lucas: Ich hoffe doch.

Svantje: Zur Präsenz von deutscher Gebärdensprache. Wir haben herausgefunden, dass das ungefähr 200 000 Menschen sind, die das in Deutschland sprechen. Das wurde jetzt glaube ich mehr, wenn ich das jetzt richtig recherchiert habe. Was meinst du wie durchsetzungsfähig das im Alltag ist, dass das verbreiteter wird. Beispielsweise als Schulfach?

Lucas: Es wird auf jeden Fall schwierig sein, sowas durchzusetzen. Aber es gibt auf jeden Fall schon erste Erfolge. Zum Beispiel hat die Kulturministerkonferenz letztes Jahr erst, eine Empfehlung herausgegeben, dass man deutsche Gebärdensprache als Wahlpflichtfach einführen kann, in den allgemeinen Schulen. Das ist schonmal ein sehr großer Gewinn und darauf aufbauend, kann man jetzt an jeder Schule deutsche Gebärdensprache als Unterrichtsfach einführen. Schwierig wird’s dann natürlich bei der Frage: Wie besetzt man diese Posten? Wie können wir das unterrichten, wenn es nicht so viele Menschen gibt, die die deutsche Gebärdensprache selbst beherrschen.  Das ist eine schöne Idee und es ist auch schön, dass das an manchen Stellen auch umgesetzt wird, aber es dauert noch ein bisschen würde ich sagen.

Svantje: Okay, aber wenn das jetzt noch dauert, worauf kann man denn achten wenn man mit jemandem mit einer Hörbeeinträchtigung im Alltag redet?

Lucas: Eigentlich sollte man sich so normal verhalten wie es geht, also nicht groß ein Thema draus machen. Was ich da schon öfter erlebt habe, dass Leute dann zu mir gekommen sind und gefragt haben: Was hast du da in den Ohren? Sind das Hörgeräte? Und dann total verzerrt gesagt haben: Versteht du mich? Und das sind so Sachen, die kann man sich eigentlich sparen. Mittlerweile ist die Hörtechnik so gut, dass man eigentlich auch ziemlich gut hören kann. Gehörlose dagegen, die nicht versorgt sind, da gibt es die allgemeine Regel entweder ins Sichtfeld zu gehen und dann versuchen zu kommunizieren durch Tippen auf dem Handy oder auf einen Zettel schreiben, wenn man die Gebärdensprache nicht beherrscht. Oder eben antippen statt ins Sichtfeld, falls es gerade nicht anders geht. Aber nur auf die Schultern, nirgendwo sonst. Und dann sollte eigentlich alles gut klappen.

Svantje: Okay dann vielen Dank dir. Das wars dann auch schon mit unseren Fragen!

Mehr Infos

Weitere Infos zur Bundesjugend, ihrer Arbeit und Mitmachmöglichkeiten gibt es unter www.bundesjugend.de

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